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Auseinandersetzen & zusammenkommen!

Die Dimension der anstehenden Veränderungen, die Clubs, Vereine und Regionalverbände in Deutschland und der Schweiz durch die anhaltenden Mitgliederverluste treffen werden, ist bei den allermeisten Verantwortlichen offenkundig noch nicht angekommen. Und gleichzeitig gibt es viele Baustellen und ein riesiges Kompetenzproblem in unserer Sportart. Debatten, sachliche, aber kontrovers geführte Diskussionen und Auseinandersetzungen finden nicht statt, ausschließlich Konsens ist legitimiert. Das ist ein Fehler. Denn ohne Auseinandersetzungen in der Sache gibt es keinen Fortschritt. Und der ist dringender denn je in unserer Sportart gefragt.

Ein Essay von Thomas Dick, Hamburg

Inzwischen sollten alle Verantwortlichen in Vereinen und Landesverbänden erkannt haben, dass der große und ungebremste Mitgliederverlust im deutschsprachigen Tischtennissport nichts Vorübergehendes ist – also so etwas wie ein Schnupfen, … der irgendwann wieder verschwindet. „Sollten …“… Die Mitgliederentwicklung ist das Barometer unserer Sportart und kann zuverlässig jetzt genau seit 30 Jahren gemessen werden. Und der Absturz – zumindest in Deutschland – ist ungebremst! Er spricht eine mehr als deutliche Sprache und hat eine „stolze Bilanz“ für diesen Zeitraum aufzuweisen: minus 340.000 Mitglieder; pro Kalenderjahr im Schnitt also etwa 11.300 Spielerinnen und Spieler in Deutschland, die unserem Sport den Rücken kehren. Etwa 31 Spieler(innen) pro Tag! Punkt.

Und bei unseren Nachbarn, den Eidgenossen in der Schweiz, spielen überhaupt nur noch halb so viele Menschen in einem Club, wie in Deutschland jährlich verschwinden (!)… Und dies in einer der selbsternannten „Top-3-Freizeit- und Volkssportarten dieser Welt“ und bei steigendem Alter unserer Bevölkerung … und damit scheinbar ohne „Life-time-Effekt“. Irgendetwas scheint also nicht in Ordnung zu sein und gewaltig schief zu laufen.

Es scheint offensichtlich, dass weder der Großteil der Landesverbände noch die Ihnen angeschlossenen Vereine in ihrer deutlichen Mehrheit begriffen haben, wie existenziell der Mitgliederverlust alle (!) betrifft und künftig betreffen wird. Viele Verantwortliche in Vereinen verhalten sich in etwa so: sie finden sich mit einer unbefriedigenden Tatsache ab, obwohl die meisten von ihnen darunter leiden. Viele Vereine und ihre Spieler(innen) begründen auch, warum sie leiden: Spieler sagen: „Ich bin zu alt, um noch etwas zu lernen“. Vereinsverantwortliche sagen: „Die anderen Sportarten sind eben weitaus interessanter als wir, Fußball ist zu stark.“ Defätismus und Fortschritts-Verweigerung liegt wie ein Nebel über Tischtennis-Deutschland. Die Entfremdung zwischen Tischtennis-Abteilungen und -Vereinen und dem „Volks- und Freizeitsport“ Tischtennis sowie oftmals auch dem eigenen Landesverband gegenüber ist gravierend – und wird sich weiter vertiefen, solange ausschließlich Eigeninteressen auf allen Seiten (!) vertreten werden und die Trendumkehr des Mitgliederverlustes als Nebensache gilt oder gar nicht erst ernst genommen wird.

Dieser Mitgliederverlust wird in beiden Ländern (Deutschland, Schweiz) – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – voraussichtlich früher als später – die Komfortzone aller Clubs, Vereine und Verbände treffen … die oft anzutreffende selbstgefällige Bequemlichkeit, den mauen Geldbeutel und die vielfach vorgetäuschte Fachkompetenz. Nicht zuletzt auch die dahinlahmende Motivation! Und dann beginnt in aller Regel – natürlich „plötzlich“ – die Existenzfrage. Oder auch nicht, denn eine überraschend hohe Anzahl an Vereinen hat noch nicht einmal verstanden und registriert, dass ihr baldiges Ende naht – rein physiologisch und unabhängig von gestiegenen Stresspegeln und narzisstischen Entwicklungen unserer Gesellschaft, die es schwieriger machen, Menschen für eine „uncoole“ Sportart in Vereinen zu gewinnen.   

Worauf sollte also geachtet werden:

  • Wer sind die handelnden Personen, welche Sozial- und Fachkompetenz haben sie, wie denken sie über die Notwendigkeiten einer Veränderung, wie können sie führen?
  • in Vereinen und Landesverbänden untereinander, z.B. zwischen hauptberuflichen und ehrenamtlichen Strukturen, um voneinander zu lernen und sich weiterentwickeln zu können (Wer initiiert diese Zusammenarbeit, wer wird initiativ, wer ist kooperativ?
  • … und ihrer Möglichkeiten (Wer schult die Verantwortlichen in Clubs und Vereinen und bereitet sie auf eine digitale Zukunft vor, die schon längst da ist?
  • … für Neues, Offenheit für Unbekanntes, Offenheit für Unangepasstes,  Offenheit für Kreatives, Offenheit für Motivierendes (Wer fordert diese Offenheit ein?

In welchen Bereichen und bei welchen bisherigen „Tabu“-Themen wären Auseinandersetzungen über den Status Quo zu führen?

Es sind also zunächst mindestens Zweifel angebracht … denn relativ wenig ist tatsächlich in Ordnung … mit einigen Ausnahmen. Der Hochleistungsbereich und eine professionelle 1. Bundesliga sowie die Talentförderung in einigen wenigen renommierten Landesverbänden sowie im Nationalverband – in Deutschland – sind weitestgehend in Ordnung. Die Schweiz verzeichnet jedoch schon lange keinen professionell organisierten und bezahlten Hochleistungsbereich (Clubs, Trainer) mehr. Im Bereich der besten Ligen der Damen und Herren hat das Land damit einen bedeutenden Nachteil in der Entwicklung Ihrer besten Spielerinnen und Spieler.

Wir können den Mitgliederverlust nur aufhalten, wenn wir lernen, vom Ende her zu denken: Wie müsste eigentlich jeder Verein und Club in Training und Wettkampf, wie müsste unsere Sporart unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen aussehen, um auf lange Sicht gut und zukunftsorientiert zu arbeiten? Wie und durch welche Maßnahmen lassen sich qualifizierte Trainer(innen) in allen Vereinen an der Basis beschäftigen und finanzieren? Und noch viel grundsätzlicher: Wie lange können sich Vereine noch Mitgliedsbeiträge leisten, die nicht annähernd den Schaden widerspiegeln, den dieser „Konsum“ der eigenen Mitglieder anrichtet?

Es sind unbequeme Fragen, da vor allem alle Verantwortlichen für ein unbekümmertes „Weiter so!“ sein wollen. Das ist verhaltensökonomisch verständlich und neurobiologisch erklärbar. Aber so ändert sich eben auch nichts. Und deshalb müssen diese Fragen gestellt werden.

Greta Thunberg, die junge Klimaaktivistin aus Schweden denkt an ihre eigene Generation. Wenn sie über die Zukunft spricht, denkt sie nicht an Machbarkeiten. Sie denkt nicht an die Befindlichkeiten von Politikern oder Energiekonzernen. Nicht an Bestandsgarantien, Weltwirtschaftswachstum oder politische Zwänge. Sie ist für das Thema dieses Essays ein Gedankenanstoß, denn die 16-jährige Schwedin ist kompromisslos. Das ist unerhört in einem Land wie Deutschland, das die Konsenskultur auch in unserem Sport so lange als Ideal gepredigt hat, bis sich niemand mehr traute, etwas zu sagen, dass kein Konsens ist. Es sagt etwas über Deutschland, wie viel Misstrauen Thunberg auf sich zieht – und wie viel Begeisterung, dass da endlich jemand ist, der kämpft … und sagt:

“Solange ihr euch nicht darauf konzentriert, was getan werden muss, sondern darauf, was ihr glaubt, das möglich ist, gibt es keine Hoffnung.”

Damit ist alles gesagt.

 

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