Folge uns auf

“Trainingskultur?”

von

Thomas Dick

In der Analyse der Schwachpunkte und damit der Verbesserungsoptionen unserer Sportart in ihrer Entwicklung soll in diesem Artikel der Frage nachgegangen werden:

Wie sieht es mit der Trainingskultur in unserem Sport aus?

Unter „Training“ wird im überwiegenden Teil der deutschen Vereine das „Wahrnehmen einer zur Verfügung stehenden Hallennutzungszeit zum Tischtennisspielen“ verstanden. Trainingstypische Verhaltensweisen, wie sie in anderen Sportarten in fast allen Alters- und Zielgruppen üblich sind, sucht man dort i.d.R. vergebens:

  • Koordinatives Aufwärmen zur Trainingsvorbereitung
  • „Anschwitzen“ am Tisch auf bevorstehende Übungen oder Wettkämpfe
  • Aufschlag-Training/Rückschlag-Training
  • Beinarbeitstraining
  • Übungen zum Zwecke der Verbesserung eigener spielerischen Fähigkeiten oder gar Übungen mit konditionellem Grundcharakter zur Stärkung von Muskulatur und passivem Bewegungsapparat oder gar gesundheitsorientierte Abschlussübungen
Gemeinsames koordinatives Aufwärmen

Wenn ich mit Entscheidern in Vereinen über ihre Vereinssituation und die Situation des Tischtennissportes im Grundsätzlichen spreche, fällt mir eines ganz besonders auf: Die Begründungen, warum es keine Trainingskultur vor Ort im eigenen Verein gibt, sind immer die Gleichen:

  • Die erwachsenen Mitglieder wollten dies nicht!
  • Man finde keine qualifizierten Trainer(innen) für Nachwuchstraining, schon gar nicht für Erwachsenentraining!
  • Es könnten diese, wenn man sie denn fände, auch nicht adäquat bezahlt werden!
  • „Machen wir nicht, hatten wir noch nie!“
  • „Hatten wir einmal, ist voll in die Hose gegangen!“
  • „Wir sind gut und erfolgreich genug für unsere Verhältnisse, mehr wollen wir nicht!“
  • „Wir machen das hier alles nur ehrenamtlich!“

Es sind Einwände/Vorwände/“Erklärungen“, die einen neuen Stellenwert einnehmen. Qualifiziertes Training „stört“ also den gewohnten Ablauf, „belastet“ das Ehrenamt, „nervt“ Spielerinnen und Spieler, die das nicht gewohnt sind, „bringt nichts!“ Argumente totgeschlagen! Gleichzeitig schwelgen aber die gleichen Verantwortlichen immer wieder im Wunschdenken daran, auch mit ihren Mannschaften oder mit ihren Individualsportlern einmal in höheren Ligen zu spielen oder „Höheres“ zu gewinnen. Und das ohne Training? Ohne Verbesserung der Auf- und Rückschläge, der Beinarbeit, des taktischen Grundverständnisses und einer taktischen Grundausbildung ihrer Spieler(innen)? Einfach so, ohne regelmäßiges qualifiziertes Training?

Unmöglich!

Meine spielerischen Fähigkeiten verbessern und optimieren kann ich nur in einem qualifizierten Training. Wer dies bestreitet, leugnet jede sportwissenschaftliche und lehrmethodische Erkenntnis von körperlichem Training. Die Konzentration ist hier insgesamt auf das Verhalten von Spielerinnen und Spielern gerichtet, nicht auf die Routine, die den Trainings- oder Wettkampfalltag umgibt. Das wiederum ist Grundvoraussetzung für Verbesserung.

Aber warum wird hier so oft kein Training regelmäßig, wie selbstverständlich, unter fachlich kompetenter Führung durchgeführt? Egal ob ich oben oder unten in der Tabelle stehe? Ein Trainer/eine Trainerin, der/die verantwortlich ist, neue Impulse setzt und den Verein weiterbringen könnte? Wie in anderen Sportarten. Das wäre doch völlig logisch …

Vielleicht sollten sich die Verantwortlichen in Vereinen einmal die Situation von „Beginnern“ in ihrer Sportart für einige Momente vergegenwärtigen. Unabhängig vom Einstiegsalter in unseren Sport ergeben sich allgemeine Herausforderungen, denen sowohl Kinder als auch Jugendliche und Erwachsene gegenüberstehen, wenn sie die Sportart Tischtennis erlernen möchten. Der klassische Ort dafür, diese Herausforderungen bestehen und überwinden zu können, sollten mehrheitlich unsere Vereine sein. Wie in anderen Sportarten auch sollten in Vereinen geregelte Trainingsgruppen in allen Alters- und Spielklassen das Gerüst für mehr oder weniger schnelle Weiterentwicklung von Spieler(innen) sein.

Wenn man sich die Anforderungen, sozusagen die besonderen Anforderungen unserer Sportart anschaut, dann wird man auf folgende Kernaussagen/-beschreibungen treffen, die aus fachlicher Sicht in ihrer Plausibilität wohl kaum von jemanden in Frage gestellt werden:

  • Tischtennis ist in seiner Grundstruktur kompliziert und komplex. Es gibt keine „technischen oder motorischen Programme“, die den komplexen Strukturen der unterschiedlichen Balltreffpunkte und der Kontrolle des Balles entgegenkommen. Einsteiger – egal in welchem Alter – sind zunächst fast immer grundsätzlich mit der elementaren Lernstruktur und den Anforderungen unserer Sportart überfordert.
  • Es gibt – resultierend aus dem erstgenannten Punkt – erst Recht keine technischen oder taktischen Handlungsmuster, an denen sich ein Einsteiger/eine Einsteigerin orientieren könnten.
  • Es gibt unzählige Materialien im Bereich eines Schlägers, die im Bereich von „geeignet“ bis „komplett ungeeignet“ mit unzähligen Varianten liegen und jeder Schläger vermittelt ein anderes Gefühl durch andere Spieleigenschaften. Ein Verunsicherungsfaktor, der seinesgleichen sucht …
  • Einsteiger/Beginner haben keine Spielerfahrung und können deshalb nicht antizipieren. Ihre Bemühungen bestehen ausschließlich aus Reaktion, während die Ballwechsel sehr häufig die Reaktionszeit des Menschen unterschreiten.
  • Kleine Spielfläche, kleiner schneller Ball (der in einer Millisekunde bei mehr als 100 km/h angenommen werden soll), zig komplexe Spielsituationen, die richtig eingeschätzt werden sollen … es entsteht eine hohe zeitliche und räumliche Überforderung.
  • Nicht nur Einsteiger (sondern auch viele Erwachsene, die dies nie erlernt haben) haben dadurch Probleme, partnerschaftlich zu spielen und miteinander zu trainieren. Zur Weiterentwicklung und Stabilisierung der eigenen Fähigkeiten gehört es allerdings, vorgegebene Ballwege spielen zu können.
  • Die höchstmögliche Herausforderung und schwierigste Arbeit besteht also darin, z.B. eine Halle voller Kinder im Grundschulalter oder erwachsener Beginner zu haben, die gerne Tischtennis spielen (können) wollen, es aber definitiv noch nicht können. Hier entscheidet die trainingsorganisatorische und methodische Vorgehensweise, das persönliche und fachliche Geschick der handelnden Personen über späteren Erfolg (es wird erlernt …) oder Misserfolg (es wird nicht oder nur langsam erlernt und die Betroffenen bleiben demotiviert weg …)
  • Es ist eine zielgenaue Anfänger/Beginner-Methodik erforderlich, um die notwendigen Bewegungserfahrungen zu ermöglichen, die über einen möglichst kurzen Zeitraum zu einem spürbaren Lernerfolg führen. Training  muss abwechslungsreich, fachlich fundiert und pädagogisch-psychologisch auf die Zielgruppen ausgerichtet sein, um gute Technik zu ermöglichen, um zu lernen, miteinander zu trainieren und später auch zu spielen. Jeder, der sich dieser Sportart nähert, soll Spaß daran haben, motiviert in jedem Training an seiner Weiterentwicklung zu arbeiten.
  • Auch für neue, „unübliche“ Zielgruppen wie ältere Menschen, gesundheitlich Angeschlagene, Hobbyspieler(innen), zugewanderte oder bereits integrierte Ausländer(innen) etc. sollten neben Wettkampsportlern Platz und Trainings-Angebote existieren, um neue Mitglieder zu gewinnen.

Es geht im Training um Abläufe, menschliches Verstehen, Gespräche, Begeisterung, Inspiration für Neues, um oftmals so viel mehr! Oft um Erfolg oder Niederlage eines ganzen Vereins. Es sind Situationen und Abläufe, die noch komplexer sind als Tischtennis. Zusätzlich wird die Akzeptanz der Vereinsleitung für Training stark erhöht, weil ja jetzt nicht mehr „kostbare Zeit vergeudet“ wird, sondern Trainings-Strukturen ganz normal wären. Der gewinnbringende Effekt bei Spielerinnen und Spielern wird erst dauerhaft sein, wenn das Training dauerhaft und qualitativ ist! Können, Fähigkeiten, Fertigkeiten und natürlich auch „Trainings-Leichtigkeit“  müssen erlernt und trainiert werden.

Wenn dies die Mehrheit der deutschen Vereine unterschreiben würde, hätten wir den Beginn einer Trainingskultur in unserem Sport. Derzeit gibt es aber nicht einmal in der Hälfte der deutschen Vereine eine Trainingskultur, weder eine hinreichende und auf Resilienz und Zukunft ausgerichtete Nachwuchsarbeit, die Vereine am Leben erhalten kann und schon gar keine notwendige und zukunftsausgerichtete Erwachsenenarbeit (die dies noch besser könnte). Wie wollen unsere Vereine allen Ernstes ohne qualifiziertes Training, fachkompetente Unterstützung und ein motivationales Umfeld überleben und weiterexistieren, sich gar weiterentwickeln, Mitglieder binden und gewinnen? Qualifiziertes Training ist die Grundvorrausetzung für Mitgliedergewinnung, Mitgliederbindung, Imageverbesserung des Vereins und der Sportart, Motivation unter Mitgliedern, u.v.m..  

Deshalb sollten alle Vereine, die noch keine Trainingskultur haben, darüber nachdenken, ob sie noch zeitgemäß unterwegs sind. Und sie sollten überlegen – bevor sie Totschlag-Argumente benutzen – ob sie alles dafür getan haben, den Zustand in Ihrem Verein wirklich zu ändern, um nicht nur ihren Verein sondern auch ihre Sportart am Leben zu erhalten!

teile es ...
Facebook
WhatsApp
Email