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Übernehmen eure Mitglieder ausreichend Verantwortung in eurem Verein oder verlassen sie sich zu sehr auf euch als Abteilungsleiter(in)/Vorstand?

Überall dort, wo wir arbeiten, uns weiterbilden und schulen, hören wir immer wieder Klagen über mangelnde Verantwortungsübernahme der Mitglieder im eigenen Verein. Es wird behauptet, dass sie zu wenig mitdenken, sich nicht für die Funktionsweise eines Vereins interessieren und sich zu stark auf die gewählten Vorstandsmitglieder verlassen. Statt Gemeinsinn und Gemeinschaft herrscht oft eine Konsumhaltung vor. Wir hören oft den Seufzer: “Ich habe fast jede(n) gefragt, aber alle winken ab!”

Das ist ein interessantes Paradox: Man wünscht sich, dass andere mitarbeiten, übersieht jedoch, dass

a) dieser Zustand durch Duldung entstehen konnte und

b) unsere Zivilgesellschaft massiven Veränderungen unterliegt.

Das bloße “Fragen nach Funktionen” reicht schon lange nicht mehr aus und ist für die Leitung eines Vereins auch unwürdig.

Was ergibt sich daraus?

Nichts wird mehr so sein wie früher. Vereine können heutzutage nicht mehr wie vor 40 Jahren geführt werden. Es sind andere Vereinsstrukturen, Ansprachen und Führungsverhalten von Vorständen und Abteilungsleiter(inne)n erforderlich. Der Anspruch “Wir brauchen jemanden, der oder die es macht” sollte durch “Wir brauchen jemanden, der/die es kann, insbesondere in der Führung” ersetzt werden! Mitglieder möchten und benötigen klare Strukturen und zeitgemäße (neue) Rahmenbedingungen in einem Verein.

Aus organisationssoziologischer Sicht ist die Schaffung eines eindeutigen Erwartungsrahmens (hinsichtlich der Mitgliedschaft) eine dieser neuen Strukturen. Dieser Erwartungsrahmen sollte allen Mitgliedern deutlich und transparent mitteilen, was von ihnen in einem Verein erwartet wird. In vielen Gesprächen wird regelmäßig festgestellt, dass genau dieser Erwartungsrahmen, klare Erwartungen an die Mitgliedschaft, die Ziele des Vereins und die Prozesse und Kriterien der Vereinsführung fehlt. Es fehlt die klare Aussage, dass ein Verein nur existieren kann, wenn sich seine Mitglieder an der Verantwortungsübernahme beteiligen. Das hat lange Zeit implizit funktioniert und erfordert nun zunehmend explizite Sicherheiten. Aber auch eine klare und offene Ansprache.

Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Verein keine Einbahnstraße oder ein Selbstbedienungsladen ist. Dies wird insbesondere durch gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere in unserer Arbeitswelt, notwendig. Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt:

In einer stark individualisierten Gesellschaft ist gesellschaftlicher Zusammenhalt außerhalb des Berufslebens nur in einer diversen und widerstandsfähigen Zivilgesellschaft möglich. Es ist wichtig, Projekte, Zusammenarbeit und Engagement in Vereinen vielfältiger zu gestalten und Menschen mit unterschiedlichen Biografien zusammenzubringen. Dadurch können Vereine zu einer widerstandsfähigeren Zivilgesellschaft und zu größerem gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen.

Das Übertragen von Verantwortung erschöpft sich deshalb nicht mehr in der satzungsgemäßen und korrekten Form der bloßen Information der Mitglieder (Jahresbericht des Vorsitzenden, des Jugendleiters, des Kassenwartes etc.) über deren Rolle und die Tätigkeiten eines abgelaufenen Jahres und dem Aufruf, sich doch bitte auch zu engagieren. Und schon gar nicht erwartet werden kann, dass Menschen deshalb aufspringen und sagen: „Super. Ich möchte auch mitgestalten!“. Wenn Veränderungen im Verein anstehen, ist zu oft zu beobachten, dass der Vorstand/Abteilungsleiter(in) unsicher agiert, zögert und nicht so recht weiß, wie er/sie Menschen vom „Ehrenamt“ überzeugen soll. Dann springt er oder sie wieder selbst ein, löscht das Feuer und beklagt sich hinterher über zu wenig Beteiligung.

Verantwortung zu übernehmen und zu delegieren, ist also essentiell für die Vereinsführung. Dabei sollte nicht nur Verantwortung delegiert werden, sondern auch die dazu gehörige Entscheidungsbefugnis. Doch wer delegiert, riskiert auch, dass Fehler passieren – was vielleicht einen Ansehensverlust bedeutet. Darum braucht man/frau in der Führungsposition des Vereins vor allem eines: ein gesundes Selbstwertgefühl.

­Unsere Empfehlungen: 

  1. Notbremse ziehen: Überlege, ob Dein Verein noch zeitgemäß aufgestellt ist. Veränderungen, die zukunftsorientiert ausgerichtet sind und Vereine resilienter machen können, sind bspw. eine Satzungsänderung in Bezug auf limitierte Amtsperioden für die gleiche Person, neue (zeitgemäße) Beitragsstrukturen, die Honorierung ehrenamtlicher Mitarbeit, bezahlte Trainingsarbeit und andere entwicklungsfördernde Dinge.
  2. Nutze das Modell der sieben Stufen der Delegation und übertrage auf dieser Grundlage Verantwortung. Dahinter verbirgt sich ein bewährtes Modell von 1 (ich entscheide vollkommen alleine) bis 7 (ich delegiere alle Entscheidungen komplett), anhand dessen jede Vereinsführung mit Ihrem Team besprechen kann, welche Entscheidungen wie getroffen werden sollen:

Tell (Verkünden)
Ich entscheide und teile euch die Entscheidung mit.

Sell (Verkaufen)
Ich überzeuge euch von meiner Entscheidung.

Consult (Befragen)
Ich hole euren Rat ein, bevor ich entscheide.

Agree (Einigen)
Wir finden einen Konsens.

Advise (Beraten)
Ich berate euch, aber ihr entscheidet selbst.

Inquire (Erkundigen)
Ich erkundige mich nach eurer Entscheidung.

Delegate (Delegieren)
Ich delegiere die Entscheidung komplett an euch.

Wertschätzende Führung ist ein weiteres zentrales Thema. Gemeint ist Führung, die die Mitglieder ernst nimmt, ihnen Aufmerksamkeit schenkt, Feedback gibt und damit die Mitglieder stärkt und nicht entmutigt. Gerade junge Menschen, die hierarchiefreies Denken und Handeln gewöhnt sind, sollten geschützt und gut behandelt werden.

Wertschätzende Führung sollte jedoch nicht mit Harmonie verwechselt werden. Im Gegenteil: Radikale Entscheidungen können notwendig sein, um die Zukunftsfähigkeit von Vereinen zu sichern. Hierzu gehört auch eine ehrliche Kommunikation, die nicht nur auf Harmonie bedacht ist. Die konsequente Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Mitglieder kann zuvor geliebte Strukturen und Handlungsfähigkeit beeinträchtigen oder sogar zu einem Mitgliederschwund führen. Es gibt eine erhebliche Anzahl von Sportvereinen, die nach und nach die Mitgliederzahl reduzieren. Ständige Anpassung und teilweise auch Ausrichtung der Vereinsziele auf Mitgliederwünsche können dazu führen, dass ein Verein seine Handlungsfähigkeit einbüßt.

  • Eine offene Kommunikation und Transparenz sind ebenfalls wichtige Faktoren, um die Verantwortungsübernahme der Mitglieder zu fördern. Informationen sollten allen Mitgliedern zugänglich gemacht werden, um ein Gefühl der Teilhabe und des Mitwirkens zu erzeugen. Regelmäßige Treffen, klare Kommunikationswege und die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung sind entscheidend, um das Engagement der Mitglieder zu stärken.
  • Ein weiterer Ansatzpunkt ist die gezielte Förderung von Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit bei den Mitgliedern. Schulungen, Workshops und Mentoring-Programme können dazu beitragen, dass die Mitglieder sich ihrer Rolle bewusst werden und befähigt werden, eigenverantwortlich zu handeln. Es ist wichtig, die Mitglieder zu ermutigen, Initiativen zu ergreifen und ihre Ideen einzubringen.
  • Nicht zuletzt spielen auch die Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen der Mitglieder eine große Rolle. Lob, Dankbarkeit und die öffentliche Würdigung von Engagement motivieren die Mitglieder, weiterhin Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv einzubringen. Es ist wichtig, die Leistungen der Mitglieder sichtbar zu machen und sie nicht als selbstverständlich anzusehen.

Der Mitgliederverlust in unserer Sportart ist enorm! Wenn Vorstände und Abteilungsleiter(innen) von Vereinen weiterhin nur danach trachten, stets auf die Bedürfnisse von Mitgliedern einzugehen, werden sie zu Anpassungsruinen. Es muss also das Ziel sein, ein Klima des Vertrauens, der Beteiligung und der gemeinsamen Verantwortung im Verein zu schaffen. Dies erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem sowohl die Führungskräfte als auch die Mitglieder ihren Beitrag leisten müssen. Denn nur wenn alle sich aktiv engagieren, kann ein Verein langfristig erfolgreich sein und eine starke Gemeinschaft bilden.

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