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Weisse Fahne oder Handtuch?

Da zu einer breiten Diskussion des Artikels der Dülmener Zeitung vom 23. Juli 2022 („Vereine hissen die weiße Flagge“)

https://www.dzonline.de/duelmen/anstoss-zu-einer-breiten-diskussion-2603230

aufgerufen wurde, hier einige konstruktiv-alternative Gedanken dazu. Bezug genommen wird – neben einer eigenen Einschätzung – auf einzelne Zitate des Artikels bzw. Aussagen in einem Podcast von Radio Kiepenkerl unter https://www.radiokiepenkerl.de/.

Es gibt derzeit viele Bereiche in unserem gesellschaftlichen Leben, in dem beobachtet werden kann, dass Menschen, die sich in ihrer Haut nicht wohl oder unsicher fühlen, immer wieder Merkwürdiges machen: sie bleiben beim „Alten“: Im Sport und seinen Organisationen wie Verbänden und Vereine ist dies ebenfalls immer wieder zu beobachten: Bislang offenkundig nicht erfolgreiches Intervenieren, Kommentieren, Argumentieren, Aufrufen, Ansprechen, um „Ehrenamtlichkeit zu rekrutieren, die den Verein/den Verband am Leben erhält“. Und das ist nun schon mindestens zwei Jahrzehnte so zu beobachten …

Menschen, die in der Führungsverantwortung ihres Vereins sind, schwelgen nicht nur gerne in der Vergangenheit und zeigen und erzählen dies, sondern projizieren mittlerweile ihre eigene Haltung auf andere Menschen. Bedauerlicherweise auch so, dass der Eindruck einer „Opferrolle“ entsteht. Auf Facebook oder diversen Internetseiten der Vereine kann man das z.Zt. sehr gut beobachten. Während uns nicht nur ein Virus eigentlich das dringende Verändern lehrt (sondern auch die zu beobachtende gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte) und uns auffordert, den Blick und unsere Kreativität in die Zukunft zu richten, werden kommunikative Stilmittel gewählt, die nachweislich (!) kaum bis gar nicht funktionieren.

Hier haben alle etwas gemeinsam, nämlich die Tendenz, an dem festzuhalten, was ist und was war. Und wenn irgendetwas anderes passiert, als das, was sie erwarten, dann versuchen sie es immer mit noch mehr Anstrengung in die gleiche Richtung. Wir kennen das auch aus dem psychotherapeutischen Kontext, das nennt sich dann dort „Mehr vom Selben“. Das ist im Grunde das „Ornament der Neurose“: man verstärkt also seine Anstrengungen immer wieder in die gleiche Richtung … und versucht gar nichts Neues zu machen oder sich mit neuen Ansätzen zu beschäftigen bzw. vorverurteilt oder verhindert diese, ohne sie ausgetestet zu haben.

„Verlustaversion“, usw. hat damit zu tun; das ist ein bekanntes Phänomen aus der Psychologie. Was sich zeigt? Viele Vereinsverantwortliche in Deutschland sind im Kern alle Reaktionäre: sie verherrlichen die Vergangenheit („Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“) oder im psychotherapeutischen Kontext: „Lieber das bekannte Unglück als das unbekannte Glück“.

Und damit ist die Ahnungslosigkeit (die zunächst selbstverständlich niemanden vorzuwerfen wäre) das Hinweisschild zum Holzweg – den alle schon seit mindestens zwei Jahrzehnten gehen. Angesprochen darauf, wie es wäre, mit der Zeit zu gehen (weil man sonst mit der Zeit geht …), hinterlässt eine solche Frage bisher wenig Eindruck:

„Ja, und? Ich mache das schließlich ehrenamtlich! Habe „keine Zeit“ für mehr, andere engagieren sich ja gar nicht … und … außerdem: das haben wir immer schon so gemacht!“ … sind u.a. die Killerargumente, mit dem sich jeder in die Verantwortung Gewählte genau aus dieser Verantwortung auch wieder verbal herausgestohlen hat, wenn er mit Weiterentwicklungsideen konfrontiert wurde. Letztlich wird damit abgelehnt, sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung und seinem eigenen Verhalten dazu, zu beschäftigen, pro-aktiv zu werden und neue Dinge auszuprobieren. „Verwalten statt gestalten – ist schließlich ein Verein und keine Firma …wir machen ja „nur“ Breitensport“.

Kann man so sehen … muss und sollte man aber nicht. Schon im eigenen Interesse nicht … wie der Artikel der Dülmener Zeitung vom 23. Juli 2022 zeigt.

Zitat: „Wir brauchen dringend neue, auch junge Leute, die Lust haben mit anzupacken. Und sei es nur einmalig oder nur für ein paar Stunden.“

Es ist bekannt, dass sich junge Leute gerne engagieren … heute allerdings unter bestimmten Bedingungen. Die Frage darf also erlaubt sein, warum es bislang nicht gelungen ist, junge Menschen genau für diese Aufgaben zu gewinnen? Und mit welchen Strategien dies nicht gelungen ist? Und ob Klarheit darüber besteht, wie man junge Menschen heute ansprechen muss, damit so etwas Erfolg hat?

Zitat: „Es fehlen ehrenamtliche Helfer. Trainer im Jugendbereich. Oder auch Betreuer. Wir haben jüngst vier Jugendmannschaften nicht besetzt, weil wir keine Trainer mehr hatten. Und weiter … Wir sind vor Ort dringend auf Unterstützung angewiesen, wenn wir unser Angebot weiter so kostengünstig anbieten aufrecht erhalten wollen und sollen.“

Das ein Verein ein Angebot kostengünstig erhalten will, ist eine legitime Absichtserklärung. Aber wer sagt, dass sie es s o l l e n? Wo sind Petitionen, Forderungen oder Briefe, die dies verlangen? Vielleicht ist ja d a s genau eines der Probleme … dass die Beiträge, die sich vermutlich schon seit Jahrzehnten auf einem Monatsniveau von „2 Bier nach dem Training“ (für Kinder) und „3 Bier nach dem Training“ (für Erwachsene) bewegen, schon lange nicht mehr zeitgemäß  sind … zumindest wenn man sie an dem Anspruch misst, sie von einem qualifizierten Trainer betreuen und trainieren zu lassen.

Zitat: „Wir haben jüngst … Eltern von immerhin zwanzig Kindern eingeladen, um unsere Misere zu schildern. Da waren gerade einmal drei Eltern anwesend. Ich glaube vielen ist einfach noch gar nicht klar, wie ernst unsere Lage mittlerweile geworden ist.“

Das ist bedauerlich. Ja. In einer solchen Aussage steckt allerdings immer wieder ein (taktischer) Vorwurf an Eltern, dass sie sich für den Verein (oder ihre Kinder) nicht interessieren. Das ist dünnes Eis! Ob dies jetzt so stimmt oder nicht, ist hier erst einmal völlig unerheblich. Bei der Aufnahme in einen Verein wird sicher nicht abgefragt, ob das Kind aus „echtem Interesse“ oder aus „Versorgungsgründen“ beim Verein angemeldet wird. Erheblich sollte also die Erkenntnis sein, dass ein solches „Ergebnis“ eine selbstkritische Analyse auslösen müsste, w a r u m dies so ist? Und zwar in Bezug auf mein eigenes Angebot! Und welchen Anteil der Verein/die Vereine dann daran ebenfalls haben? Das ist nämlich der Bereich, den Vereine selbst beeinflussen und verändern können, die Gesellschaft wird sich nicht verändern, nur weil man mit dem Finger auf sie zeigt. Das kommt bei diesen Aussagen immer zu kurz bzw. wird ausgeblendet, ist aber für eine Veränderung der Situation von enormer Bedeutung.

Wenn ich nur noch in einer komplett veränderten Welt auf ehrenamtliche Trainer setze (was in dieser Zeit so gut wie niemand mehr zu leisten bereit ist – egal aus welchen Motiven (… sonst gäbe es ja zahlreiche ehrenamtliche Trainer(innen)!), um mein „kostengünstiges Vereinsangebot“ weiter legitimieren zu können, dann wird diese Haltung eher früher als später dazu führen, dass das Vereinssystem kollabiert. Dafür aber diejenigen verantwortlich zu machen, die nicht können oder wollen, ist eine völlig fehlgeleitete Schuldzuweisung und führt zu nichts. Eher zum Gegenteil! Das mit dem Finger auf andere zeigen können wir ja bekanntlich in Deutschland alle sehr gut …

Cleverer wäre es, u.a. genau in diesem Bereich auf qualifizierte Trainer(innen) mit entsprechendem wertschätzenden und der Qualifikation angemessenem Honorar zu setzen und die dadurch kalkulierten Kosten – bevor sie entstehen – allen als „Alternative zu den ganz offenkundig nicht mehr wirksamen ehrenamtlichen Konzepten im Trainings- und Betreuungsbereich“ entgegenzusetzen. Und dann allen die Wahl zu lassen – z.B. Eltern: „Sie bezahlen dann entweder dafür, dass Ihr Kind qualitativ und gut trainiert, betreut und ausgebildet und seine Gesundheit gefördert wird oder sie bezahlen dafür, dass der Verein „Kinderverwahrschule“ ist (und dafür stehen dann ebenfalls andere, entsprechend qualifizierte Personen, die bezahlt werden, zur Verfügung). Und die Eltern haben noch eine dritte implizite Wahlmöglichkeit: Ihre Kinder zuhause zu lassen … Und wer unsere momentane gesellschaftlichen Veränderungen verstanden hat, weiß was dies bedeuten würde … und wofür sich i.d.R. die meisten Eltern entscheiden.

Wir können derzeit nicht erkennen, dass die noch immer überwiegende Mehrheit aller Eltern nicht bereit wäre, für eine gute Leistung auch einen entsprechenden Beitrag zu bezahlen. Das machen Eltern in anderen (musisch-kulturellen, intellektuell-fördernden) Bereichen auch. Die gute und gut kommunizierte neue Beitragsstruktur wäre dann die einzige Hürde, die man nehmen müsste, um dies gut und sicher einzuführen. Und mit Eltern, die dies nicht könnten (Minderheit) sucht man “individuelle Lösungen”…

Zitat: „Oder alles wird teurer, dann können sich aber vielleicht nicht mehr alle zum Beispiel den Fußballsport leisten.“

Kalkulationsbeispiel für einen qualifizierten Trainer/eine qualifizierte Trainerin, der/die 2 x wöchentlich jeweils zwei Nachwuchs-Mannschaften im 120-Minuten-Rhythmus* nebenberuflich trainiert:

2 x 120 Min. Training (für 2 Mannschaften à 12 Spieler(innen))

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4,0 Zeitstunden  x  € 35,-             =   €  140,-  x  4 Wochen =  € 560,-/ Monat

€  560,-/Monat  :  24 Spieler(innen)    =         

€  23,33/Monat für Mitgliedschaft inkl. Qualitätstraining = € 2,91/Stunde/Kind

*= adaptierbar natürlich auch auf 90-Min-Einheiten

Elegant wäre sicher auch ein beitragsorientierter Anreiz (Beispiel), um ggf. das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden:

Mitgliedsbeitrag für Kinder (5-12 Jahre):       € 23,33/Monat

Mitgliedsbeitrag für Kinder (5-12 Jahre),

wenn ein Elternteil ehrenamtlich im Verein mitarbeitet**:            € 10,-/Monat

**= Umfang der Mitarbeit müsste dann definiert werden

Bevor eine solche Rechnung als „unrealistisch“ voreingenommen verurteilt wird, sollte sie erst ausprobiert werden – garniert mit der entsprechend plausiblen Kommunikation dazu.

Zitat: „Die Mentalität hat sich gewandelt. Früher haben sich Leute mehr eingebracht. Heute ist alles viel anonymer. Das ist wie bei einer Elternpflegschaftsversammlung. Da geht auch keiner hin, weil er Angst hat, ein Pöstchen aufs Auge gedrückt zu bekommen.“

Ja. Und auf die gewandelte „Mentalität“ reagieren die meisten Vereine mit Rezepten und Methoden von vorgestern. Wie kann also diese Atmosphäre des „ängstlichen Wegbleibens“ abgebaut und künftig verhindert werden? Ist es immer nur eine Frage der fehlenden Solidarität? Oder auch der fehlenden Sinnvermittlung, Darstellung und “gelebtem Vereinsleben” der Vereine nach außen? Der fehlenden rhetorischen und kommunikativen Fähigkeiten, um Menschen zu „fangen“. Der fehlenden Expertise vieler Vereine in Kommunikation und „Wo-sind-Fördertöpfe-suchen“? Warum brauche ich dazu eine übergeordnete Stelle, die mich auf Fördertöpfe aufmerksam macht? Könnte ich dies im Zeitalter des Internets auch alleine, wenn ich meine zeitlichen Prioritäten im Verein anders plane?

Zitat: „Die Arbeit sei auf zu wenigen Schultern verteilt und so könne es auf Dauer nicht weitergehen.“

Es wird auf Dauer so weitergehen … wenn diejenigen, die dies beklagen, weiterhin keine anderen (wirksamen und weniger öffentlichkeitswirksamen) Strategien entwickeln, als nur über das fehlende ehrenamtliche Engagement in Vereinen zu klagen oder beim „Schützenfest“ Menschen anzusprechen. Dabei macht sich beim Lesen allerdings immer der Eindruck breit, sie messen andere Menschen an Ihrer eigenen Motivation. In solchen Aussagen – vor allem, wenn sie öffentlich gemacht werden, stecken damit weiter kommunikationspsychologisch „taktische Vorwürfe“ – ob das nun beabsichtigt ist oder nicht. Und die werden von den Empfängern wahrgenommen und registriert!  

Zitat: „Viele, längst nicht alle, aber zu viele möchten nur partizipieren und sich nicht an der Gemeinschaftsarbeit beteiligen. Das ist ein gesellschaftliches Problem in der heutigen Zeit.“

Ja. Und wenn das als gesellschaftliches Problem erkannt und verstanden wurde, hilft es eben nicht weiter, diesen Zustand zu beklagen, sondern es müssen dafür Lösungen entwickelt werden. Die Lösungen sollten deshalb so aussehen, dass man sich ggf. damit beschäftigt, wie „Solidarität“, die scheinbar abhandengekommen ist, wieder hergestellt werden kann. Und zwar ohne mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.

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