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„Es wird anders werden!“

Eine Rückkehr zur Normalität im deutschen Tischtennis wird es möglicherweise nicht mehr geben. Die neue Situation – mit allem Unvorhersagbarem und allen Unwägbarkeiten – gehört ab sofort zu unserer Zukunft. Nutzen wir sie zu wichtigen Veränderungen oder erstarren wir?

von Thomas Dick, Dannenberg

Es gibt keine wahnsinnig neuen Erkenntnisse. Wir brauchen in Deutschland moderne, qualifizierte und gute Trainingsangebote in möglichst vielen Vereinen, Aus- und Weiterbildungsangebote in wichtigen Bereichen wie Rekrutierung ehrenamtlicher Mitarbeit, moderner Strukturierung der Vereinsfinanzen, passgenaues Marketing mit Social-Media-Akzeptanz und nicht zuletzt ein einheitliches Spielsystem für den Mannschaftssport. Unsere Sportart besser, attraktiver und vor allem effektiver aufzustellen, sie mit einem stabilen und guten Image zu versorgen, um besonders den dramatischen Mitgliederverlust seit über 30 Jahren aufzuhalten, war schon eine Aufgabe vor Beginn dieser Epidemie. Den bislang ungebremsten Mitgliederverlust zu bremsen ist bislang nicht gelungen.

Darauf werden sich auch die Auswirkungen des momentanen Lockdowns im psychischen und physischen Bereich – insbesondere auf Kinder und Jugendliche – bemerkbar machen. Jetzt schon werden sie von Woche zu Woche größer und schlimmer. Mit jedem Tag wird es schwieriger, sie wieder (oder weiter) in Bewegung zu bringen. Mit jedem Tag wird es auch unwahrscheinlicher, dass sich ältere Tischtennisspieler(innen), die bislang noch ihrem Verein die Treue gehalten haben oder sich bewegen wollten, wieder an den Tisch gehen. Als zu groß wird dann der Anteil der Zugehörigkeit zu einer „tatsächlichen Risikogruppe“ oder wird das Risiko, unter Hygiene-Konzepten zu spielen, erachtet. Der Lockdown vermindert auch und selbstverständlich in unserer Sportart die körperliche Bewegung und wirkt sich negativ auf die Gesundheit und viele andere Bereiche aus, die wir vor Beginn der Epidemie als normal wahrgenommen haben.

Ändert dies unsere bisherige Sichtweise auf die Dinge? Was wird nach einer „Wiedereröffnung“ unserer Hallen passieren? Geht es weiter wie vor der Epidemie? Plant man schon die neue Saison ab Sommer 2021, ohne zu wissen, wie dann die tatsächlichen Möglichkeiten (insbesondere der Hallennutzungsoptionen aller Vereine) sein werden? Wird es qualifizierte und gute Trainingsangebote für Kinder und Jugendliche geben, die diese jetzt dringend brauchen? Kann der Verlust von Kindern in dieser Zeit in relativ kurzer Zeit wieder ausgeglichen werden? Werden auch Trainings- und Bewegungsangebote für Erwachsene in den Vereinen Einzug finden, weil sich auch viele (insbesondere ältere) Erwachsene zurückziehen werden, eben auch jüngere Erwachsene Bewegungs- und Trainingsangebote benötigen?

Auch Tischtennisspieler(innen) sind unausweichlich Teil der Natur. Egal wie sehr man sich in den Gedanken an die Vergangenheit und in seiner Zivilisation einmauert, wir bleiben immer abhängig von der Natur. Wenn wir kurz reflektieren, was seit März 2020 passiert ist und dass wir allem Fortschritt zum Trotz Teil dieser Natur sind, dann können wir eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Wir werden zurückgeworfen auf ein Risiko, dem entkommen zu sein, sich unsere Gesellschaft immer rühmte oder dies zumindest nicht beachtete. Die momentane Wirklichkeit ist so umfassend, ist so alarmierend, so verstörend, dass nur wenige Menschen die Kraft finden, sich ihr konkret zu stellen. Produktiv durch eigenes Denken Anteil an der Lösung zu haben … ? Auch unsere Vereine und Trainer(innen), unsere Organisationen sollten jetzt ambitionierte Lösungen suchen. Es wäre also – mit Blick auf die aktuelle Epidemie und ihre Folgen für unseren Sport – notwendig, sich an dem orientieren, was in Zukunft da auf uns zukommt. Und dies wird etwas anderes sein, als wir es uns wahrscheinlich im Augenblick vorstellen.

Auch diese Epidemie wird irgendwann einmal aufhören. Dazu warten viele Tischtennisspieler(innen) – wie viele andere Menschen auch – allerdings auf die einzelnen Wunderwaffen. Die es allerdings nicht gibt. Auch wenn möglicherweise gegen Ende dieses Kalenderjahres ein Großteil der Deutschen geimpft sein sollte, sollten wir nicht alle Hoffnungen auf die Impfstoffe setzen. Bekanntes wird uns weiter begleiten: Abstand halten, möglicherweise Masken tragen und große Menschenmengen zu vermeiden. Sie tragen schließlich dazu bei, die Verbreitung des Virus – egal in welcher ansteckenden, deutlich mehr ansteckenden oder hochansteckenden Variante – zu bremsen. Wie derzeit viele Reaktionen aus unserem Sport allerdings zeigen, wollen viele nicht einsehen, dass diese Maßnahmen konsequent und über einen längeren Zeitraum hinweg angewendet werden müssen. Und die „gute, alte Zeit“ nicht mehr wiederkommt. Dafür – für diese nicht vorhandene Einsicht – würden wir dann möglicherweise weiterhin die Rechnungen bekommen.

Die Einstellung vieler Menschen ist gleichzusetzen mit einer mangelnden Bereitschaft, die Wissenschaft ernst zu nehmen. Wir haben hervorragende wissenschaftliche Instrumente, aber diese können uns nicht retten, wenn wir nicht beginnen, zu vertrauen, zu kooperieren, zusammenarbeiten und uns zusammensetzen, um Lösungen für unsere Probleme zu finden. Nationale und bundeslandübergreifende Zusammenarbeit wäre gefragt, um die auf unsere Sportart zukommenden Probleme – insbesondere den herben weiteren zu erwartenden Mitgliederverlust am Ende dieses Jahres – zu bewältigen. Den konnten bisher weder der nationale Verband noch einzelne Landesverbände aufhalten. Das ist nur durch viele übergreifende Projekte und Kooperationen möglich, in denen Expertenwissen und Nicht-Expertenwissen zur Erreichung von win-win-Situationen zusammengeführt werden sollten.

“Die Spielregeln müssen verändert werden”

Diese Epidemie hält auch unserer Sportart den Spiegel vor. Auch Tischtennis hat seine spezifischen Schwachstellen: die bislang unzureichenden Stabilisierungselemente des überwiegenden Teils unserer Vereine, wie Mitgliedergewinnung, Effektivitätsdenken, Etablierung neuer Zielgruppen, nachhaltige Nachwuchsarbeit, zeitgemäße Beiträge, fehlende Betreuung bestehender Erwachsenengruppen oder die Gewinnung von freiwilliger Mitarbeit.

Die momentane Entwicklung unserer Gesellschaft – insbesondere die der Digitalisierung und Individualisierung – lässt sich nicht ohne Weiteres zurückdrehen, denn sie ist die Grundlage unseres Zusammenlebens geworden. Viele Menschen wehren sich noch dagegen, obwohl dies wenig zweckreich erscheint. Aber wir müssen diese Entwicklung kontrollieren und regulieren. Die Spielregeln für alle von uns müssen verändert werden, damit sie nicht systematisch ins Abseits führen. Dass immer weniger Solidarität und Rücksichtnahme noch in unserer Gesellschaft vorhanden ist, hat uns diese Epidemie auch im Sport vor Augen geführt.

Epidemien sind also in der Lage, die Wirtschaft, das tägliche Leben und damit auch unsere Freizeit von uns allen zum Erliegen zu bringen. Wir leben nun seit einem Jahr mit dieser Epidemie, und wenn wir nicht richtig mit ihr umgehen, könnte sie uns noch lange begleiten. Auch in unserer Sportart, in der immer wieder davon zu lesen ist, dass die Tischtennisspieler(innen) sich eine Rückkehr zur Normalität wünschen.

Momentan glaube ich nicht, dass es diese Normalität wieder geben wird. Und das ist für mich ein eher herausfordernder Gedanke als ein beängstigender. Ich halte es darüber hinaus weder für möglich, noch für wünschenswert, zur alten Normalität zurückzukehren. Denn die alte Normalität hat uns auch in diese missliche Lage gebracht, in der wir jetzt sind. Wir sollten die Pandemie als Pforte betrachten, durch die wir zu etwas Besserem gelangen können, zu einer Sportart, in der wir mit neuen Ideen, Projekten, Zusammenarbeit am Start sein werden und in den nächsten Jahren somit weniger anfällig sind für Mitgliederverlust, fehlenden Finanzen oder fehlende Motivation. Tun wir das nicht, werden nach einem Wiederbeginn sicher viele andere konkurrierende Sportarten daran arbeiten.

Es werden uns weitere Pandemien bevorstehen. Da sind sich führende Virologen und Wissenschaftler in Deutschland einig. Darauf müssen auch wir vorbereitet sein. Ein „Weiter so wie bisher“ kann es also bei Akzeptanz dieses Wissens schon alleine nicht ernsthaft geben. Seit dem Auftreten der Vogelgrippe 1997 herrscht unter Fachleuten Konsens darüber, dass eine gefährliche Periode für die menschliche Gesundheit begonnen hat. Als Analogie dazu: Wer in der Karibik lebt, dem können Wetterexperten voraussagen, dass in näherer Zukunft einen Hurrikan auf die Bevölkerung einer Region zukommt. Die Meteorologen wissen aber nicht wann genau und in welcher Stärke, aber sie wissen, dass er kommen wird. Und dann empfehlen sie, dass es klug wäre, sich darauf vorzubereiten. Genauso ist es mit der pandemischen oder epidemiologischen Bedrohung: Sie gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit und unausweichlich zu unserer Zukunft.

Die gute Nachricht ist: Auch auf Epidemien können wir uns alle vorbereiten. Die Frage wird sein: verstehen wir es und wollen wir es?

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